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„Nur wenn wir selbst in die Verantwortung kommen, können wir auch glücklicher im Job sein.“

Jutta Lüthy ist seit 14 Jahren das Gesicht hinter consulting-value!. Ganz nach ihrem Motto „Tu, was du willst, aber nicht, weil du musst!“ arbeitet sie als Personalberaterin für PR, Kommunikation und Medien aktiv daran mit, die Arbeitswelt von heute und morgen zu gestalten. Jutta ist überzeugt, dass wir alle – jeden Tag – zufrieden und glücklich leben und arbeiten können, wenn wir herausgefunden haben, was uns wirklich wichtig ist und warum wir genau das tun, was wir tun. Im Rahmen ihrer Tätigkeit als Personalberaterin beschäftigt sie sich auch intensiv mit dem Begriff „Selbstwirksamkeit“. Warum und wie Selbstwirksamkeit die Agenturwelt erobern muss, erklärt sie uns im Interview.

Als Personalberaterin arbeitest du eng mit Agenturen zusammen. Welche Hürden und Herausforderungen begegnen dir in deinem Job immer wieder?

Ich kenne die Branche sowohl aus Arbeitgeber- als auch aus Arbeitnehmersicht und weiß aus langjähriger Erfahrung, mit welchen Bedürfnissen, Herausforderungen und Rahmenbedingungen die jeweilige Seite zu kämpfen hat. In vielen Agenturen wird Personalarbeit immer nebenbei gemacht, denn das eigentliche Kernbusiness ist PR-, Kreativ- und Kommunikationsberatung. Mittlerweile haben Unternehmen aber auch erkannt, dass es so nicht mehr funktioniert, weil ihre eigenen Kund:innen verstärkt Spezialist:innen fordern und nach Expert:innen verlangen. Das Thema Personal / Human Capital gewinnt zunehmend an Bedeutung im Gesamtportfolio der Agenturen.

„Die Herausforderung besteht nicht nur darin, die richtigen Mitarbeitenden zu finden, sondern ihnen auch ein entsprechendes Leistungspaket und Entwicklungsperspektiven zu bieten. Es tut sich was in der Branche – es wird wieder gewechselt!“

Liebe Jutta, bitte erläutere kurz den Begriff „Selbstwirksamkeit“ und in welchem Zusammenhang dieser mit unserem Berufsleben steht.

Ursprünglich kommt der Begriff „Selbstwirksamkeit“ aus der kognitiven Psychologie und meint die Überzeugung einer Person, auch schwierige Situationen und Herausforderungen aus eigener Kraft erfolgreich bewältigen zu können. Der kanadisch-amerikanische Psychologe und Soziologe Albert Bandura prägte diesen Begriff maßgeblich. Er beschreibt Selbstwirksamkeit als Eigenschaft und auch als Haltung oder Überzeugung, die der Mensch über sich und sein Vermögen hat, mit Herausforderungen umzugehen.

Selbstwirksamkeit hat eine hohe Bedeutung für unsere Karriere und für unser Berufsleben, denn selbstwirksam zu handeln spielt eine entscheidende Rolle, wenn es darum geht, unsere Ziele anzugehen, Aufgaben zu erledigen und Herausforderungen zu meistern. Menschen, die daran zweifeln, in ihrer Situation selbst etwas verändern zu können, stehen eher unter Stress und neigen deshalb schneller zu Niedergeschlagenheit. Sie können sich schlechter motivieren und weniger gut mit negativen Emotionen umgehen.

Bild: Blue Bird / Pexels

Woran machen wir fest, wie oder ob wir selbstwirksam sind?

Selbstwirksamkeit ist die Fähigkeit, durch Rückgriff auf die eigenen Kompetenzen ein gewünschtes Ziel zu erreichen bzw. eine Handlung auszuführen. Selbstwirksamkeit benennt also meine subjektive Selbsteinschätzung, dass ich das aus eigener Kraft schaffen kann. Sie bringt uns dazu, Sätze wie die folgenden zu sagen:

  • ich schaffe das schon
  • lass es mich wenigstens versuchen
  • lass mich das mal machen
  • ich kann das
  • ich traue mir das zu
  • ich weiß, wie das geht
  • ich glaube an mich
  • ich will noch was bewegen in diesem Leben

Glaube ich an meine Selbstwirksamkeit, heißt das aber noch nicht, dass ich auch die persönlichen Fähigkeiten und Kompetenzen, an die ich glaube, auch wirklich habe. Und es bedeutet nicht, dass mir dann immer alles gelingt. Doch wenn ich mich als selbstwirksam wahrnehme und erlebe, dann kann ich – trotz allem Auf und Ab – stabil und ausgestattet mit einem guten Selbstwertgefühl durch das Leben gehen. Psychologische Studien haben außerdem gezeigt, dass Menschen meistens nur dann eine Handlung beginnen, wenn sie davon überzeugt sind, dass sie diese Handlung auch tatsächlich erfolgreich ausführen können (= Selbstwirksamkeits-Überzeugung) – ohne Selbstwirksamkeits-Überzeugung werden Herausforderungen oft nicht angenommen.

Ist Selbstwirksamkeit messbar?

Die Selbstwirksamkeitserwartung (SWE) bezeichnet das Vertrauen einer Person, aufgrund eigener Kompetenzen gewünschte Handlungen auch in Extremsituationen erfolgreich ausführen zu können. Ein Mensch, der daran glaubt, etwas bewirken und auch in schwierigen Situationen selbständig handeln zu können, hat demnach eine hohe (messbare?) SWE. Untersuchungen zeigen, dass Personen mit einem starken Glauben an die eigene Kompetenz, folgende Eigenschaften haben:

  • größere Ausdauer bei der Bewältigung von Aufgaben,
  • eine niedrigere Anfälligkeit für Angststörungen und Depressionen,
  • mehr Anerkennung in Ausbildung und Berufsleben.

SWE und Handlungsergebnisse wirken oft zirkulär: eine hohe SWE führt zu hohen Ansprüchen an die eigene Person, weshalb man eher anspruchsvolle, schwierige Herausforderungen sucht. Die Bewältigung dieser Herausforderungen führt dann wieder zur Bestätigung bzw. Erhöhung der eigenen SWE.

„Selbstwirksamkeit“ klingt erst einmal nach einem neuen Buzzword neben Ausdrücken wie Selbstoptimierung oder Resilienz. Brauchen wir jetzt einen neuen Begriff?

Selbstoptimierung beschreibt eher einen Zwang von außen, noch schneller, noch besser zu sein. Hier werden eher unentdeckte Talente und Potenziale an Menschen sichtbar gemacht. Selbstwirksamkeit kommt eher aus dem Menschen heraus, wie sie ihren Job gestalten können, um glücklich zu sein. Wirksam werden, damit es mir persönlich besser geht.

„Ja, wir brauchen diesen Begriff, damit es uns besser geht. Nur wenn wir selbst in die Verantwortung kommen, selbst gestalten, können wir auch glücklicher im Job sein.“

Wenn es uns an „Selbstwirksamkeit“ fehlt, was hat das für Auswirkungen auf unser Berufsleben?

Ob wir uns als selbstwirksam erleben, hängt stark von der Art und Weise ab, wie wir denken und über uns urteilen. Viele Menschen sind sehr hart im Urteil mit sich. Dahinter steckt meist ein:e innere:r Kritiker:in mit hohen Ansprüchen und Erwartungen. Grund für einen geringen Selbstwert sind oft Glaubenssätze, die früh gelernt, immer noch unbewusst das Leben lenken, beispielsweise Ausdrücke wie „Das schaffe ich nie“. Um den eigenen Selbstzweifeln zu begegnen, entwickeln wir häufig untaugliche Verhaltensmuster, die Stress erzeugen und letztlich unsere Selbstwirksamkeit schwächen.

Bild: Sebastian VoortmanPexels

Mir fallen da jetzt Motivationscoaches ein, die ihr Publikum mit „In 10 Schritten zu einem erfolgreichen Leben“ oder „So feuern Sie sich wirklich an“ anspornen. Welche Tipps helfen Berufseinsteiger:innen und Profis tatsächlich, selbstwirksamer zu werden / agieren?  

Eine Karriereberatung oder ein Coaching sind vor allem für die Menschen sinnvoll, die noch nicht hundertprozentig wissen, wohin ihre berufliche Reise gehen soll. Ein professioneller Blick von außen kann uns oftmals dabei helfen, den für uns richtigen Weg einzuschlagen und unserem Denken einen neuen Impuls zu geben. Darüber hinaus können wir unser Leben selbstwirksam gestalten und Selbstverantwortung übernehmen, indem wir uns immer wieder Fragen stellen wie:

  • wer bin ich?
  • was sind für mich wichtige Dinge im Leben?
  • was erfüllt mich?
  • woran habe ich Freude?
  • was raubt mir Energie?
  • wie tanke ich Energie auf?
  • welche kleinen Veränderungen kann ich selbst anstoßen und damit experimentieren?
  • wie kann ich die Veränderung umsetzen?

Unserer Karriereplanung kann beispielsweise mit typischen Fragen auf die Sprünge geholfen werden:

  • wo liegen meine Fähigkeiten und Talente?
  • wo kann ich diese gewinnbringend einsetzen?
  • wie finde ich heraus, was mir gefällt, um die passende Wahl in Bezug auf Studium / Beruf und Karriere zu treffen?
  • wie entscheide ich mich zwischen unterschiedlichen Möglichkeiten?
  • wie bereite ich mich darauf vor, die Komfortzone zu verlassen und eine Veränderung anzustoßen?

In unserem Job werden wir immer wieder Menschen begegnen, die an ihrer eigenen Kompetenz zweifeln. Wie können wir als Kolleg:innen Aussagen wie „Ich wusste schon vorher, dass es schief gehen wird“ begegnen oder unterstützend einwirken?

Es ist wichtig, diese Menschen aufzufangen und ihre Aussagen zu hinterfragen. Sätze wie „Was führt dazu, dass du so denkst?“ oder „Wie kann ich dich beim nächsten Projekt besser unterstützen?“ oder „Was hat dir gefehlt, um die Aufgabe besser zu bewältigen?“ sind erste Anknüpfungspunkte.

Darüber hinaus fördern viele Agenturen neben der fachlichen auch die persönliche Weiterbildung ihrer Mitarbeitenden. Hier bieten sich neben gezielten Team- auch Einzelcoachings an, um die Kolleg:innen in ihrer Entwicklung zu unterstützen. Denn nicht jede:r Mitarbeiter:in passt auf jede Position und jede:r bringt unterschiedliche Fähigkeiten mit. Manch eine:r steht gerne im Rampenlicht, ist extrovertiert und liebt es, Workshops vor Publikum zu halten. Andere hingegen arbeiten lieber im Hintergrund, sind zurückhaltend und widmen sich lieber strategischen Aufgaben oder schreiben gerne Texte.

Regelmäßige Feedbackgespräche sind entscheidend und sie dürfen nicht nur in eine Richtung gehen. Oftmals werden Feedbackgespräche nur Top-Down geführt und enden in Gehaltsgesprächen. Dabei sollten gerade diese wichtigen Besprechungen ein Gedankenaustausch sein.

Warum ist Selbstwirksamkeit in der Agentur so wichtig und was gibst du Organisationen mit auf den Weg, die Selbstwirksamkeit ihrer Mitarbeitenden zu stärken?

„Organisationen brauchen das Engagement und die Ideen aller ihrer Mitarbeitenden, um in der agilen und immer komplexeren Arbeitswelt innovativ und wettbewerbsfähig zu bleiben.“

Der War for Talents ist für Unternehmen – ob groß oder klein – real und die Talente von heute sind anspruchsvoll. Es ist nicht nur essenziell die passenden Bewerbenden für sich zu gewinnen, sondern auch bestehende Mitarbeitende zu halten. Menschen, die glücklich sind mit dem, was sie tun und in einer Organisation arbeiten, die zu ihrer persönlichen Wertekultur passt, bleiben auch gerne dort und noch besser – empfehlen die Arbeitgeber:innen weiter. Folgende Ansätze gebe ich jedem Unternehmen mit, um die Selbstwirksamkeit ihrer Mitarbeitenden zu stärken:

  • fragende Führungskultur
  • Stärkung der Fähigkeit zur Selbstreflexion
  • Raum für selbstlernende Entwicklung
  • Selbstorganisation
  • Effectuation (= unternehmerische Entscheidungslogik)
  • Design Thinking

Liebe Jutta, wir danken dir für den schönen Austausch!

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