„Die Strukturen bei Design-Awards müssen sich ändern, nicht die Frauen!“
Hintergrund: Im Rahmen ihrer Tätigkeit als Leiterin des Rats für Geschlechtergerechtigkeit im Deutschen Designtag hat Miriam Horn-Klimmek eine Zählung von Jurys für Design-Awards durchgeführt, um deren Geschlechterquote zu überprüfen. Das Ergebnis hier. Ein entsprechender Appell ist hier zu finden. Die Zahlen zeigen – es gibt ein Problem!
Du bist ehrenamtlich als Leiterin des Rates für Geschlechtergerechtigkeit im Deutschen Designtag tätig. Wie seid ihr auf die Idee gekommen, eine Zählung von Jurys für Design-Awards durchzuführen und wie seid ihr bei der Datenerhebung vorgegangen?
Als ich den Auftrag als Leiterin des Rats erhalten haben, überlegte ich zunächst, was mir wichtig ist und wo ich mit Ideen ansetzen kann. Im deutschen Kulturrat gibt es derzeit Studien, wie die aktuelle Situation für Frauen im Kulturbereich aussieht.
Zahlen und Daten können ein Gefühl viel genauer abbilden und allen Akteur:innen vor Augen führen, was in puncto Geschlechterneutralität schiefläuft.
Dann wird eine Gesprächsgrundlage geschaffen, die auf ein konkretes Problem hinweist. Nehmen wir einmal Preisverleihungen in der Verlagsbranche. Renommierte Preise mit einem ausgeglichenen Frauen-Männer-Anteil in den Jurys sind hier gang und gäbe, z.B. beim Ingeborg-Bachmann-Preis, dem Preis der Leipziger Buchmesse oder dem Deutschen Buchpreis. Das war für mich der Startschuss zur Frage: Wie sieht denn eigentlich die Geschlechterzugehörigkeit bei Wettbewerben im Designbereich aus? Dafür sind wir auf die Webseiten der gängigen Wettbewerbe für Design-Awards gegangen und konnten die Jurys genauer unter die Lupe nehmen. Bei der Analyse stellten wir fest, wie unterschiedlich die Verteilung ist.
Ergebnisse der Auszählungen von Jurys in Design-Award
Wie war die Resonanz in der Branche auf eure Ergebnisse? Welche Reaktionen haben euch erreicht?
Die Ergebnisse haben wir Anfang März online präsentiert und es gab bereits Medienecho bei Page und Marketing Börse. Eine direkte Ansprache an mich bzw. den Deutschen Designtag erfolgte bisher noch nicht, was ich mir aber wünschen würde. Ich denke, dass es in erster Linie Diskussionen sind, die einen Stein ins Rollen bringen können. Ich bin gespannt, was sich da noch ergeben wird.
Wer bestimmt die Zusammensetzung der Jurys für Design-Awards?
Das wüsste ich tatsächlich auch sehr gerne! Eine Idee, die uns während der Untersuchung gekommen ist – auf die Designjurys zuzugehen und zu fragen, wie die Zusammensetzung entschieden wird. Ich bin derzeit in der Jury des Plakatwettbewerbs des Deutschen Studierendenwerks, was für mich eine sehr spannende Erfahrung ist. Ich wurde über den BDG – Berufsverband für Kommunikationsdesigner:innen angefragt, wo das Bewusstsein dafür groß ist, sich die Frage zu stellen, wie Jurys generell zusammengesetzt werden sollen. Nehmen wir einmal die ADC-Jurys. Dort wird deutlich, dass in diesen nur ADC-Mitglieder vertreten sind, von denen ein Großteil männlich ist. So entsteht automatisch ein Ungleichgewicht in den Jurys.
Ein weiterer Faktor ist die Kumpelwirtschaft. Viele Aufträge schieben sich in erster Linie Männer untereinander zu.
Das „Wer-kennt-wen-Spiel“ bestimmt zum großen Teil auch die Struktur in den Jurys. Ich wünsche mir, dass mehr Menschen auf die Preisverleiher:innen zugehen und sie fragen, wie sie die Jurys bilden, und sie gegebenenfalls auf ein Ungleichgewicht aufmerksam machen. Ich möchte bestimmt vorgehen und nachfragen, ob sie sich dazu äußern wollen: „Seht ihr das auch, da gibt es doch ein Problem! Wir möchten gerne wissen, wie ihr vorgeht und was wir ändern können. Seid doch ein Teil davon!“
Blinde Flecken und fehlende Perspektiven in Design-Awards
Was bedeutet es, wenn der Fokus der für die Branche so richtungsweisenden Preise überwiegend von Männern bestimmt wird?
Ganz klar, es fehlen Perspektiven! Denn momentan ist es so: Die immer gleichen Männer aus ähnlichen sozialen Schichten, die in der gleichen Branche arbeiten, bestimmen die Gewinner:innen von Design-Awards. Da findet keine Diversität statt und andere Perspektiven werden nicht diskutiert. Jahr für Jahr wird nicht über den Tellerrand hinausgeschaut. Da ist es klar, dass die Branche in einem eintönigen Einheitsbrei kleben bleibt.
Dabei bringen gerade Frauen eine andere, neue Perspektive mit, gerade weil sie eine Awareness besitzen. Viele von den Männern in den Jurys verstehen bestimmte Einreichungen nicht und hinterfragen sie nicht, weil sie sie nicht nachvollziehen können und sich damit nicht beschäftigen. Kurzum – es betrifft sie einfach nicht. Umgekehrt kann das auch mir passieren, wenn es um Rassismus geht oder Menschen mit Behinderung, da bin ich im Zweifel auch blind, weil ich bestimmte Sachen nicht sehe. Aber das sind genau die Perspektiven, die im Wettbewerb, im kreativen Bereich und im Designbereich fehlen.
Nehmen wir einmal die ADC-Jury: Dort liegt die Frauenquote bei gerade mal 20 Prozent. ADC-Präsidentin Dörte Spengler-Ahrens dazu: „Die aktuelle Diskussion um den Anteil der Frauen in den ADC-Jurys ist gut. Denn sie macht sichtbar, wo das eigentliche Problem liegt: Der Frauenanteil im ADC ist zu niedrig. Es gibt nichts schönzureden: In der Kreativwirtschaft in Deutschland gibt es zu wenige Frauen. Das hat auch Auswirkungen auf den ADC und die ADC-Jurys. Eine paritätische Besetzung der Jurys ist im Moment nicht möglich, weil es einfach zu wenige Frauen im Club gibt.“ Frauen in der Kreativwirtschaft gibt es viele, nur nicht in Führungspositionen. Wie ist dein Eindruck aus der Praxis?
Ja, es gibt viele Frauen in der Kreativbranche – allein in meinem Studium war der weibliche Anteil der Studierenden höher als der männliche. Aber je höher wir in der Hierarchie kommen, umso mehr Männer gibt es. Was auffällt, dass diese schneller aufsteigen. Das hat unterschiedlichste Gründe, die auch mit den Strukturen in der Designbranche zu tun haben. Denn dort herrscht in erster Linie eine Ellenbogen- bzw. Platzhirschmentalität vor, die einfach nichts für jede und jeden ist.
Viele Frauen schrecken vor diesen Strukturen eher zurück als Männer. Was aber jetzt nicht bedeuten soll, dass Frauen ab sofort mitgegeben wird, sie sollen sich mehr anstrengen, lauter und „so wie Männer sein“, um in der Hierarchie weiter aufzusteigen und dorthin zu kommen. Wir müssen dieses Paradigma umdrehen und die Mentalität hinter diesen Strukturen verändern. Es geht hier um ein über Jahrzehnte aufgebautes System. Das Bewusstsein dahinter hat sich felsenfest manifestiert. Genau dort liegt der Hund begraben:
Wenn männliche Agenturinhaber dieses Bewusstsein nicht infrage stellen, nicht erkennen, dass es ein Problem gibt, wird es schwierig werden.
Die Macht der Agenturen
Wir erkennen, dass das Problem bei den Agenturen beginnt. Was können Agenturen unternehmen, um eine Jury diverser zu gestalten? Denn ohne Agenturen gibt es keine Design-Awards!
Genau das ist ein Bewusstsein, das sich vor allem große Agenturen vor Augen führen sollten. Denn sie können entscheiden, bei welchen Wettbewerben sie mitmachen und wohin sie ihr Geld investieren. Wer also für eine Jury angefragt wird, kann sich anschauen, wie diese zusammengesetzt ist, und nachfragen: „Moment, in dieser Jury sind schon X Männer. Ich habe hier eine Kollegin, die ist genauso gut wie ich. Ich möchte sie empfehlen, Teil der Jury zu sein!“ Wenn das von einem Mann gesagt wird, der für die Problematik offen ist und dieses Bewusstsein hat, macht das für mich einen wahren Helden aus. Unter Schauspieler:innen habe ich diese Vorgehensweise schon öfter beobachtet und auch für die Kreativbranche bin ich zuversichtlich.
Es gibt Männer, die diese Sensibilität haben und verstehen, dass sie Teil des Problems sind und daher auch ein Teil der Lösung sein können. Wir müssen nur noch lauter werden – je lauter wir sind, desto mehr Strukturen können wir aufbrechen.
Was hältst du davon, dass Agenturen den Druck erhöhen und keine Einreichungen bei Wettbewerben machen, die nicht bspw. mindestens 50% Frauen in den Jurys haben. Ist ein Boykott zielführend?
Das wäre eine Idee bzw. eine Lösung. Es gab in der Vergangenheit Einladungen zu Paneldiskussionen, die von Männern ausgeschlagen wurden, weil der Anteil der Speakerinnen zu gering war. Ich denke, der Druck, der dadurch ausgeübt wird, ist entscheidend, weil die Veranstalter:innen dann einsehen müssen, dass sie ihre Events so einfach nicht mehr umsetzen können. Je mehr Leute so vorgehen und Druck ausüben, desto relevanter wird es. Ein Boykott ist nicht zielführend. Lieber das Gespräch und den Austausch miteinander suchen und an die Öffentlichkeit gehen. Denn genau dort findet die Diskussion statt.
Agenturen könnten beispielsweise öffentlich machen, dass sie nur bei Design-Awards mitmachen, deren Jurys fair besetzt sind. Je größer und bekannter die Agentur ist, desto mehr Staub wird aufgewirbelt.
Der blinde Fleck kann nur verschwinden, wenn die Männer in den Jurys erkennen, dass sie ihre Akzeptanz in der Branche verlieren, wenn sich NICHTS ändert. Dem ADC beispielsweise würde es schon sehr weh tun.
Beginn eines Wandels?
Was denkst du, wie ein Wandel herbeigeführt werden kann? Was muss sich verändern bzw. welche Probleme sollten als erstes angegangen werden?
Der stete Tropfen höhlt den Stein. Wir müssen tief in die Strukturen rein, um diese zu verändern. An die Öffentlichkeit gehen, mit den Jurys bzw. Wettbewerben sprechen, Diskussionen anregen und genau dort ansetzen, wo alles beginnt: bei den Agenturen! Es geht nicht darum, dass Frauen sich wie Männer verhalten, um an ihre Positionen zu kommen. Frauenförderungsprogramme, z.B. ADC Future Females, sind ein erster Schritt. Aber auch interne Workshops in den Agenturen oder in den Wettbewerben, die mehr Awareness auch bei den Männern schaffen, die dort tätig sind. Die Struktur muss sich ändern, nicht die Frauen!