Kapazitäten und Ressourcenplanung: Existiert die Formel für Fairness?
Eine Überstunde kann vieles sein! Sie kann plötzlich und einmalig auftauchen oder drei Wochen lang jeden Tag. Sie kann eine Blockade bedeuten oder die Zielgerade einläuten. Sie kann selbst- oder fremdverschuldet sein, ausgelöst von einem kleinen Fehler oder großem Erfolg. In manchen Büros ist sie allgegenwärtig, in anderen nie gesehen. „Nur eines kann die Überstunde nie sein: selbstverständlich“, sagt Miriam Rupp, Gründerin und Geschäftsführerin von Mashup Communications. Im gemeinsamen Gespräch mit Fairgency blickt die 37-jährige auf die zwölf Jahre Kapazitäten-Planung in der eigenen Agenturhistorie zurück.
„In Agenturen, in denen Überstunden für die Mitarbeitenden selbstverständlich sind, gibt es einen bewussten Fehler in der Ressourcenplanung.“
In unserer ersten Retrospektive zeigen wir, mit welchen Schritten Mashup Communications ihre Kapazitätenplanung entwickelte, um genau diesen Fehler zu vermeiden.
Das Modell heute
Es gibt viele Modelle, wie eine Agentur ihre Ressourcen managen kann oder wie sie letztlich ihre Rechnungen stellt. Auch bei Mashup Communications vergingen Jahre, bis sich das heutige Modell geformt hatte – und immer noch formt. „Um uns als Agentur schnell ins Gespräch zu bringen, sind wir mit einem selbstbewussten Performance-basierten Angebot für Kund:innen gestartet sind. Für unsere Auftraggeber:innen hatte das natürlich einen klaren Vorteil: kaum Risiko. Wenn die Erfolge ausblieben, zahlten sie so gut wie nichts. Wenn eine Welle an Clippings kam, auch durch weniger Arbeit, zahlte sich der ein oder andere Monat natürlich für uns und unser winziges Team auch einmal ziemlich aus. Nur stieg mit der Mitarbeiterzahl auch die Verantwortung für uns als Arbeitgeberin und der Bedarf nach einer Form von Planungssicherheit. Unabhängig dass wir mit dem Performance-Modell auch automatisch eine Klientel ausschlossen, die mehr Wert auf Qualität statt Quantität legt.“
Heute buchen die Klient:innen der Agentur im Regelfall einen festen, monatlichen Retainer an Stunden. Dieser variiert aktuell zwischen 25 und 80 Stunden. Wie bringt Mashup Communications diese Stunden mit den Kapazitäten der Mitarbeitenden zusammen?
Schritt 1: Ressourcen-Kapazität berechnen
„Die erste Planungsformel, auch wenn sie zu diesem Zeitpunkt nicht als eine solche bezeichnet wurde, entstand nicht in der Excel-Liste, sondern erstmal aus meinem Bauch heraus“, erinnert sich Miriam. Dass 160 Stunden Arbeitszeit einer Vollzeitkraft nicht 160 Projektstunden ergeben, war klar.
„Wie hoch ist der Anteil an Zeit, der tatsächlich ‚verkauft‘ werden kann – realistisch, risikofrei und fair?“
Die Überlegung begann am eigenen Schreibtisch, den eigenen Aufgaben. Ohne von der Begrifflichkeit gehört zu haben, suchte die Gründerin nach einem geltenden Kapazitätswert in FTE.
Schritt 2: Das Vollzeitäquivalent
Kapazitätswert in FTE? Am Beispiel von Mashup Communications wird die Definition der Begriffe schnell deutlich. Das Vollzeitäquivalent (full time equivalent) gibt die Standard-Leistungsfähigkeit einer Ressource in einem bestimmten Zeitabschnitt in einem Unternehmen an. Die denkbar einfache Ressourcenplanungsformel dazu lautet:
Eine Ressourcenkapazität von 1 FTE ergibt sich also, wenn 40 Stunden wöchentliche Arbeitszeit als 40 Stunden Projektkapazität gewertet werden. In der Personalplanung wird das FTE auch verwendet, um die Kapazitäten von Voll- und Teilzeitkräften zusammenzuführen und den Ressourcenbedarf für Projekte in die Einheit „Personal“ umzurechnen.
Däumchen drehen oder Überlastungsspitze? In der Bestimmung des FTEs liegt der Schlüssel für faire Ressourcenplanung. Es kann Agenturen zeigen, wie viel Personal für ein Projekt von 20 Stunden in einem Zeitraum benötigt wird. Doch wie auch bei Mashup Communications bereits zu Beginn klar war: Mit einem Kapazitätswert von 1 FTE zu rechnen, ist ein schwerer Fehler…
Schritt 3: Das faire Vollzeitäquivalent
…und einer, der unmittelbar zu Überlastungen führen würde, nehmen administrative Aufgaben, Meetings, Übergaben doch mindestens 20% der Arbeitszeit ein. So ist ein Kapazitätswert von 0,8 FTE unter vielen Expert:innen zum Standard der Personalplanung in Agenturen geworden. Welchen Wert hatte sich aus dem Bauchgefühl von Miriam ergeben?
„Bis heute rechnen wir mit fünf Stunden, die bei einem Arbeitstag von acht Stunden maximal ausschließlich für Kunden aufgewendet werden sollen. Die restlichen drei Stunden gehören dem oder der Mitarbeiter:in.“
Die Auswirkungen werden in einer weiteren Formel der Personalplanung deutlich:
Beansprucht das neue Projekt eines Kunden 80 Stunden und soll innerhalb einer Woche umgesetzt werden, ergibt sich mit einem Kapazitätswert von 1 FTE demnach eine Anzahl von zwei Vollzeitkräften. Bedeutet, dass nur zwei Mitarbeitende dieses Projekt im gegebenen Zeitrahmen umsetzen werden. Bei einem Wert von 0,8 FTE zeigt die Rechnung, dass bereits 2,5 Vollzeitkräfte nötig wären. Bei Mashup Communications würden mit einem Wert von 0,625 FTE 3,2 Vollzeitkräfte mit dem Projekt vertraut werden. Ist das gut? Ist das schlecht? Wie viel dem eigenen Team für alles abseits der Projektarbeit eingeräumt werden muss, verdient in jeder Agentur eine individuelle, interne Betrachtung. Und bei Mashup? 0,625 FTE und alle glücklich bis zur Rente?
Kapazitäten für jeden gleich? Verrechnet!
Die vorgestellten Formeln sind nicht ohne Grund so eingängig – sie bieten ohne Frage einen Richtwert, doch vernachlässigen sie nach Miriams Meinung das Wichtigste: die individuellen Stärken im Team. Wie effizient Position A oder Position B arbeiten und letztlich arbeiten müssen, ist in der Standardleistung-Formel nicht berücksichtigt. Doch können Trainees und Senior:innen mit gleichem Kapazitätswert arbeiten? Wie löste Mashup dieses Problem?
„Zu einer fairen Ressourcenplanung gehört auch, unseren Trainees mehr Zeit zu geben – zum Lernen, zum Fehlermachen, zum Feedback geben.“
Der Kapazitätswert bei ihnen liegt nach der Rechnung sogar unter 0,5 FTE. Mit steigender Position wird die Anzahl der Projektstunden höher, ebenso dann der Wert auf bis zu 0,625 FTE. „Mein Bauchgefühl scheint das Team auch zwölf Jahre später immer noch zufriedenzustellen.“
An handfeste Diskussionen im Team kann sich Miriam jedoch auch erinnern. Die Kapazitäten einer für Agenturen nicht selten essentiellen Personengruppe sorgte auf einer Teamfahrt für Unstimmigkeiten. „Wir hatten von Beginn an auch Praktikant:innen mit monatlich 50 Stunden (0,3 FTE) in die Planung einberechnet. Nicht zuletzt hatte ich selbst erlebt, wie stark man als Praktikantin in einer Agentur bei den tatsächlichen Kundenprojekten eingebunden wird und Verantwortung übernehmen kann und soll. Ich selbst war als frühere Angestellte in meiner Position als Praktikantin teilweise für bis zu acht Kund:innen Hauptansprechpartnerin. Natürlich wollte ich genau das zwar mit Mashup Communications anders machen und sowohl den Mitarbeitenden als auch Kund:innen gegenüber fair sein.
Aber trotzdem nahm ich an, dass man wenigstens ein paar ihrer Kapazitäten auch ‚anzapfen‘ könnte. Dass das auch bei den weltbesten Praktikant:innen nicht aufgeht, wurde mir bewusst, als das Team mit zunehmender Größe klarere Hierarchien bekam. Transparenz war auch hier die Lösung. Zum einen, weil die Mashies wussten, wie ihre Kapazitäten berechnet werden, und zum anderen, weil sie uns sagten, dass es so nicht funktionieren würde.“
Faire Planung bei den Kapazitäten schafft Spielraum
Existiert sie also – die Formel für Fairness? Eine Frage, die Miriam auch zum Ende des Gesprächs bewusst offenlassen will. „Jede Agentur ist anders strukturiert, ein Team immer ein Ökosystem für sich. Ich bin mir sicher, dass es viele glückliche Mitarbeitende gibt, deren Chefetage nie etwas vom FTE gehört hat und andersherum. Eine Formel für Burn-out gibt es da schon eher.“ Für die in Kapstadt und Berlin lebende Gründerin wurde in der eigenen Retrospektive aber erneut deutlich, welche Chancen in einer fairen Ressourcenplanung liegen.
„Agenturen sind dann fair und nachhaltig erfolgreich, wenn sie begreifen, dass auch die Kapazitäten, die niemandem in Rechnung gestellt werden können, wertvoll sind.“
Raum für Kreativität, Luft für Optimierungen, Zeit für teamübergreifenden Austausch – all das kann entstehen, wenn jede oder jeder Einzelne die Möglichkeit genießt, die eigenen Arbeitsstunden mit weniger Zeitdruck zu gestalten.
Wir geben die Frage an euch: Existiert die Formel für Fairness? Welche Faktoren sollten in dieser Formel nie fehlen?
Wir lieben es, neue Geschichten zu erzählen“ – mit dieser Philosophie erklärt die Berliner Agentur für PR und Brand Storytelling Mashup Communications Zielgruppen zu Held:innen und Marken zu ihren Mentor:innen. Gegründet 2009, teilen die Geschäftsführerinnen Miriam Rupp und Nora Feist ihre langjährigen Erfahrungen aus der Welt der digitalen Unternehmen auch mit Umdenker:innen aus traditionellen Branchen. Mit der Macht des Storytelling hilft das 20-köpfige interdisziplinäre Team aus Text-Talenten, TV-Profis und Strategie-Assen Unternehmen, die neue Wege gehen, ihre Markenidentität zu finden, zu gestalten und langfristig weiterzuentwickeln.